Was alles auf Titelseiten versprochen wird, könnte man teilweise Opium für das Fotografenvolk nennen. Es wird die Hoffnung geschürt, aus dem grauen Mittelmaß der Fotomassen empor steigen zu können und dass gar mäßigen Urlaubsfotos zum ewigen Leben jenseits des sonst sicheren Festplattentodes gelangen können. Sehr beruhigend auch, dass man gar „mit dem Smartphone wie ein Profi“ fotografieren kann. Wer braucht schon das teure Equipment, das die Anzeigenkunden im Heft den Lesern verkaufen wollen? Vielleicht ist das plakativ formuliert, Fakt ist aber, dass Magazine im Konkurrenzkampf ihre Titelseiten als werbende Schaufenster gestalten müssen und man dabei offensichtlich nicht vor ein paar Werbefloskeln zurückschreckt und gar vermeintlich neue Trends ins Leben ruft.
So köpft die April-Ausgabe der Zeitschrift CHIP Foto & Video auf der Titelseite: „So haben Sie noch nie fotografiert“ und darunter „Trend: Slow Photography – Bewusster fotografieren für bessere Bilder“. Es dauerte einen kurzen Moment bis mir der Floskelgehalt dieser Überschrift klar wurde, weil damit wohl kaum eine größere und ältere offene Tür eingetreten wurde. Der letzte Teil der Botschaft ist nämlich so richtig, wie sie alles andere als neu ist. Hier geht es um alter Wein in neuen Säcken.
Das Wort „Trend“ ist vollkommen aus der Luft gegriffen und irreführend. Und ob das noch nicht genug ist, setzt die Redaktion von CHIP buchstäblich noch einen drauf und behauptet frech, wir hätten noch nie so fotografiert. Der Begriff „Slow Photography“ soll der Schmackes dann noch neumodisch erscheinen lassen. So ähnlich wie beim ominösen „Headshot“, die plötzlich omnipräsente Bezeichnung für das, was seit Fotografengedächtnis einfach Nahporträt heißt.
Dass gute Bilder ein bewusstes Fotografieren voraussetzen, ist alles andere als neu. Bewusst wahrnehmen oder eine klare Idee umsetzen und diese Beobachtungen und Inszenierungen dem Betrachter vermitteln, es ist der Wesenskern der Fotografie. Der Sinn der Fotografie liegt ja nicht in der Tätigkeit des Fotografierens selbst, sondern in dem, was der Fotograf uns mithilfe dessen vermitteln will. Für Berufsfotografen und Fotokünstler ist dieses Bewusstsein von gleicher Selbstverständlichkeit, wie die Kamera nur ein Werkzeug und das Bild nur ein Medium ist.
Mir ist klar, dass die Leserzielgruppe von CHIP eine ganz andere ist. Dass der Autor das Thema „Klasse statt Masse“ nur Ansatzweise anspricht und konkret hauptsächlich praktische Tipps und Techniken vermittelt, mit dem man sich selbst in Zeit und Menge ausbremsen kann, liegt in der Natur der Zeitschrift. „Slow Photography“ bezieht sich nur auf die Quantität, stellt das Equipment wieder mal zentral und rollt das Thema somit von hinten auf.
Der wahre Trend ist doch die mit der Digitalisierung einhergehende Leichtigkeit mit dem man Bilder produzieren kann und die in den Hintergrund geratene Frage, warum man eigentlich fotografiert. Fotografieren wir, um uns als Fotograf zu outen, sich in Foren und Communities zu präsentieren und Anerkennung zu bekommen, oder einfach nur, weil es uns ein Bedürfnis ist, durch die Fotografie etwas zu vermitteln? „Bewusster fotografieren“ ist nicht nur weniger den Auslöser drücken. Es ist quasi die Sinnfrage in der Fotografie. Wer meint, die mit ein paar praktischen Tipps beantworten zu können, trifft nicht den Kern der Sache. Auch bei „Slow Food“, woran im Inhalt referiert wird, ist der nicht die Langsamkeit an sich, sondern die Frage der (Lebens-)Qualität. Der redaktionelle Griff in die Worttrickkiste ist auch so gesehen als Floskel daneben gegangen.